Ziele des Verbundprojektes
Das Voranschreiten globaler Wandlungsprozesse, die einerseits eine weltweite Vernetzung in allen gesellschaftlichen Feldern forcieren, rückt andererseits durch zunehmend unübersichtliche Beziehungsgeflechte die Frage nach Zugehörigkeit und Selbstverortung sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene signifikant ins Blickfeld. Heterogene Entwürfe des sozialen Zusammenlebens aufgrund von Migrationsprozessen, kultureller Diversität und der Lösung traditioneller Bindungsformen bewirken eine fortwährende gesellschaftliche Herausforderung durch Fragen der Integration und Inklusion sowie den hierfür notwendigen gemeinsamen Bezugspunkten. Cultural heritage dient dabei immer häufiger als eine Art ‚Ressource‘, um Zugehörigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen der Gesellschaft zu definieren oder Homogenität und Übereinstimmung zu suggerieren. Die Bezugnahme auf kulturelles Erbe gestaltet sich dabei oftmals als ein ambivalenter Prozess und markiert daher einen zentralen Ausgangspunkt der kritischen Reflexion von Konstruktions- und Aushandlungsprozessen von cultural heritage in diesem Verbundprojekt. Beispielsweise wird kulturelles Erbe auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene häufig als Lösung für den allgemein beklagten Traditionsverlust im Globalisierungsprozess präsentiert. Zugleich führt eine derartige Instrumentalisierung von cultural heritage zu neuen Problemen, wie etwa der Exklusion von nicht der Definition eines bestimmten Kulturerbes entsprechenden Gruppen und Individuen, die in einer verbreitet auf ökonomische Nutzungsformen spezialisierten Gesellschaft häufig unhinterfragt hingenommen werden.
Die in diesem Projekt angestrebte differenzierte und kritische Untersuchung, welche Chancen und Probleme in den ambivalenten Konstruktions- und Aneignungsprozessen von verschiedenen Erscheinungsformen kulturellen Erbes liegen, hat den Charakter von Grundlagenforschung, um schließlich die Frage beantworten zu können, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise cultural heritage dazu beitragen kann, eine durch Diversität und Integrationsbemühungen gleichermaßen gekennzeichnete Gesellschaft zu gestalten. Inwieweit erscheint kulturelles Erbe dabei als nützliche Produktivkraft, als Ressource für die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung?
Die differenzierte Analyse der ambivalenten Aushandlungsprozesse um kulturelles Erbe stellt eine notwendige Voraussetzung dar, um Chancen und Potentiale, aber auch Probleme und Risiken der Vergegenwärtigung von Vergangenheit zu erkennen. Geschichts-, sozial- und bildungswissenschaftliche Perspektiven ergänzen sich zu einer bislang einmaligen systematischen Untersuchung der semantischen und praktischen Aushandlung, Konstruktion und Nutzung kulturellen Erbes in vor allem in Deutschland ablaufenden, alltäglichen und institutionalisierten Kommunikations- und Interaktionszusammenhängen.
Das Verbundprojekt zielt zudem auf eine intensive Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die sowohl inhaltlich über die als Promotionsprojekte geplanten Teilstudien als auch organisatorisch durch ein über verschiedene Veranstaltungs- und Betreuungsformate geschaffenes interdisziplinäres Arbeitsumfeld realisiert wird.